Daten-Alltage – Konstellationen und Dynamiken alltäglicher Datenpraktiken
Panelleitung und Kommentar: Dr. Katrin Amelang (Bochum),
Prof. Dr. Martina Klausner (Frankfurt /M.)
Das Panel stellt die gegenwärtige Bedeutung und Selbstverständlichkeit von Daten und Prozessen der Datafizierung in den Mittelpunkt, um verschiedene Aspekte von Daten- Alltagen und alltäglichen Datenpraktiken, ihren Routinen, Politiken und Infrastrukturen, anhand von vier empirisch informierten Vorträgen herauszuarbeiten. Zum einen interessieren uns Daten-Alltage im Sinne Daten-gesättigter Alltage und wie (inklusive mit welchen Folgen) wir mit Daten leben, denken und den Alltag gestalten (können oder müssen). Zum anderen interessieren uns Daten-Alltage als Alltage von Daten bezüglich der Arbeit, die Daten, ihre Produktion, Verwendung und Infrastrukturen, benötigen. Mit der Verbindung dieser zwei Aspekte und der Zusammenschau der im Panel vorgestellten Forschungen möchten wir nicht nur Daten-Alltage als Selbstverständlichkeit wie Spannungsfeld genauer beleuchten, sondern auch fragen, was wir dabei über den Alltag konzeptionell lernen können.
Dr. Nurhak Polat (Bremen)
Politiken mit Daten in autoritären Geflechten
In meinem Vortrag erkunde ich, wie Daten als flexible Werkzeuge autoritärer Machtausübung genutzt, erlebt und angefochten werden. Sie sind Teil von soziotechnischen Verflechtungen, die ich als autoritäre Geflechte fasse. Empirisch beziehe ich mich auf ethnografisches Material aus zwei miteinander verknüpften Forschungsprojekten: 1) zum digitalen Tracking der COVID-19-Pandemie und Datenmanagement (vorwiegend in der Türkei) und 2) zu den autoritären Datenpraktiken und Politiken datengesteuerter Überwachung. Anhand des ethnographischen Blicks in Daten(Chaos)-Alltage zeigt der Vortrag, wie Menschen in diesen Geflechten mit Daten leben, die umkämpften Datenlandschaften erfahren und sich mit den (potenziellen) Folgen digital-autoritärer, datafizierter Überwachung arrangieren.
Prof. Dr. Martina Klausner (Frankfurt /M.)
Das Öffnen und Teilen von Verwaltungsdaten als Herstellung partieller Verbindungen
Daten der öffentlichen Verwaltung, die verschiedene Lebensbereiche von Bürger*innen betreffen, sollen – so wird es zunehmend gefordert – öffentlich zugänglich gemacht und mit verschiedenen Interessensgruppen geteilt werden. Mein Vortrag widmet sich den alltäglichen Praktiken dieses Öffnen und Teilens am Beispiel der Frankfurter Stadtverwaltung und diskutiert wie historisch gewachsene Informationsarchitekturen, rechtlich und politisch festgelegte Zuständigkeiten und formelle wie informelle Arbeitsprozesse, dieses Öffnen und Teilen im Arbeitsalltag formatieren. Zugleich verdeutlicht dieser Fokus die vielfältige alltägliche Arbeit, die es braucht, um Datenbestände überhaupt zumindest partiell zu verbinden, und ermöglicht über den spezifischen Fall hinaus über das Arbeiten mit Daten nachzudenken.
Leman Çelik MA, Prof. Dr. Estrid Sørensen (Bochum)
Alltägliche wissenschaftliche Datenpraktiken und die Ökologie von Dateninfrastrukturen
Die Umweltfolgen von „Big Tech“ und „Clouds“ sind in der Literatur umfassend belegt, wobei Narrative über die Verschränkung von wissenschaftlichen Datenpraktiken und der ökologischen Umwelt durch Dateninfrastrukturen fehlen. Unsere Interviews mit Wissenschaftler*innen datenintensiver Wissenschaften zeigen einen verstärkten Ausbau wissenschaftlicher Dateninfrastrukturen. Die Präsentation fokussiert die wenigen aber wichtigen Momente alltäglicher wissenschaftlicher Datenpraktiken, die Dateninfrastrukturen mit Energieverbrauch und Hardwareproduktion in Bezug setzen.
Prof. Dr. Ina Dietzsch (Marburg)
(Un-)passend gemacht: Das alltägliche Problem verschiedener Datenwirklichkeiten
In der Bibliothek nach einem vollständig digitalisierten Kopiervorgang aufgefordert zu werden, die gemachten Kopien zu zählen, beim Scheitern des QR-Scans bei der Fahrkartenkontrolle nicht nach einem analogen Äquivalent gefragt zu werden oder die skurrilen Formen, die der Versuch einer Studentin annimmt, den Wasserverbrauch in ihrem Bad selbst zu messen – all diese Beispiele sind Hinweise auf die leisen aber alltäglichen Inkompatibilitäten aufeinandertreffender Datenwirklichkeiten (Knox 2021). In meinem Vortrag werde ich der Frage nachgehen, inwieweit solche Inkompatibilitäten methodisch sinnvoll als Fenster in Komplexitäten verstanden werden können, die uns Aufschluss über die Entstehungswelten und Effekte solcher alltagsrelevanten Datenwirklichkeiten und ihres Zusammentreffens geben können.