Alltägliche Moden materieller Kultur
Panelleitung: Dr. Jan C. Watzlawik, Adrian Ruda M.A.
Abgeleitet aus W. H. Riehls nationaler „Volkskunde als Wissenschaft“ wurde materielle Kultur in der Formel „Rock und Kamisol“ als frühes disziplinäres Paradigma kanonisiert. Obwohl schon hier vestimentäre modellhaft für materielle Kultur steht, ist Kleidungsforschung im Fach weiterhin marginal. Wie G. M. König /Z. Papierz 2013 betonen, hat sie aber eine Sonderstellung, denn „[d]as textile Feld ist ein Paradebeispiel materieller Kultur, an dem kulturelle Bedeutungen, Bedingungen und Verweissysteme des Materiellen explizit ablesbar sind.“
Das von A. Ruda und J. C. Watzlawik moderierte Panel umfasst aus Qualifikationsprojekten der Dortmunder Kulturanthropologie des Textilen hervorgegangene Beiträge, die einen pluralisierten Modenbegriff stark machen. Dieser eröffnet Frage- und Analysehorizonte, die sich nicht nur auf vestimentäre Alltagskultur richten, sondern auch komplexe, konjunkturelle und krisenhafte Moden materieller Kultur im Allgemeinen fokussieren.
Adrian Ruda M.A. (Dortmund)
Militärmoden. Historisch-anthropologische Überlegungen zu einem anziehenden Gegensatz
Uniformierungen und Moden gelten im Alltag oft als Konterparts. Historisch gesehen sind Uniformen jedoch weniger einheitlich, Kleidermoden nicht immer so einzigartig. Mithin verbirgt die Kontrastierung auch, dass beide miteinander verwoben sind. Während Studien zum Military Look den Weg vom Militär in die Moden skizzieren, wird oft übersehen, „dass die Mode mit ihren Einflüssen auf die Kriegstracht schon in einer Zeit thätig war, als es noch keine Uniformen gab“, wie J. v. Falke 1861 anmerkt. Der Beitrag thematisiert das Gemeinsame von Militär sowie vestimentärer Alltagskultur und nutzt den scheinbaren Gegensatz für eine historisch-kulturanthropologische Analyse.
Dr. Catharina Rüß (Dortmund)
Mode oder Müll. Memeificationen über Balenciaga in sozialen Netzwerken
Im digitalen Zeitalter findet Vermittlung von Moden meist in sozialen Netzwerken statt, Trends werden durch Interaktivitäten des Likens, Kommentierens und Teilens verhandelt. Dabei sind sie von Algorithmizität, Quantifizierung und digitaler Infrastruktur determiniert.
Der Beitrag analysiert Memes, die den „Ugly-Chic“ von Balenciaga als Müll karikieren. Deren Frequenz sowie Kommentare verdeutlichen Zirkulationen von Moden, die Veralltäglichung der Ästhetiken des Labels als Wissensrepertoire populärer Kulturen und Partizipationen von Moden im Alltag.
J. Assadsolimani M.A. (Dortmund)
Alltag im Magazin. Zur „Vogue“ als Archiv
„So schön, so gut. Technik-Ikonen von gestern und Accessoire-Favoriten von heute“ kommentiert die „Vogue“ 2019 das Arrangement einer Hermès-Tasche mit einem Krups-Mixer aus den 70ern. In der Modestrecke werden Haushaltsgeräte ästhetisch abstrahiert und als Klassiker mit der neuen Mode kombiniert. Neben dem Luxusgut changiert das Alltagsding zwischen Gewöhnlichem und Außergewöhnlichem. Es ist Teil eines Kanons, den die „Vogue“ gestaltet.
Im Beitrag wird die Zeitschrift als Archiv und Ort der Wissensproduktion verstanden. Auf Grundlage vergleichender Inhaltsanalysen wird nach den Krisen und Konjunkturen der Alltagsdinge im Magazin gefragt.
Dr. Jan C. Watzlawik (Dortmund)
Moden im Museum. Modelle besonderer Alltäglichkeit
Mit J. Baudrillard kann argumentiert werden, dass „die Entwicklung der Mode parallel zu der des Museums verläuft“. Dementsprechend lässt sich die Konjunktur beider Felder im Kontext multipler Modernen attestieren und ein pluralisierter Modenbegriff lancieren, der nicht nur die Sache oder das System, sondern eine Vielzahl sozio-kultureller Kontexte von Kleidung sowie Körper inkludiert.
Dahingehend werden im Beitrag Moden vestimentärer Museumsdinge fokussiert. Anhand einer Dingminiatur wird die museale, alltägliche, aber auch disziplinäre Sonderstellung vestimentärer Kultur skizziert und ihr Modellcharakter für die materielle Kultur konstatiert.