Panel S

Panel S | Studentisches Panel

Panelleitung: Maren Sacherer B. A. (Wien), Emil Gößling (Kiel)

Lisbeth Brandt (Kiel)

„Fuori di testa, ma diversi da loro“ – Verrückt, aber anders als sie. Eine Betrachtung von Måneskins „Zitti e buoni“ beim Eurovision Song Contest

„We just want to say, to the whole Europe, to the whole world: Rock’n’roll never dies!“, ruft Damiano David, Frontmann der Band Måneskin, nach deren Sieg mit dem Lied Zitti e buoni beim Eurovision Song Contest 2021 ins Mikro. Er und der Rest seiner Band sind extravagant und dunkel geschminkt und tragen mit silbernen Bändern geschnürte und mit Nieten besetzte glänzend bordeauxrote Lederensembles, sowie schwarzen Nagellack und auffälligen Schmuck. Dieser androgyne bis feminine, alternative Stil erinnert stark an die 1970er-Ära des Glam-Rock. Ebenfalls ein Genre und eine Szene, dessen Akteur*innen durch ihre Kleidung, Schminke und Haare eine Provokation auf vorherrschende Vorstellungen von Geschlechternormen in Bezug auf ihr Aussehen und Auftreten erzeugten.

In meinem Vortrag möchte ich dem nachgehen, wie und auf welche Art solche alternativen Ästhetiken von Geschlecht im Rahmen eines musikalischen Buhnenauftritts entstehen. Ich gehe davon aus, dass eine heteronormative und geschlechtsbinäre alltägliche Lesart der Betrachtenden durch das Auftreten Måneskins ein Stück weit aufgebrochen wird. Um dies besser einzuordnen und verstehen zu können bediene ich mich Judith Butlers Theorie der Gender Performance, die sie in ihrem Aufsatz Performative Acts and Gender Constitution (1988) beschreibt. Mithilfe dieser Theorie wird deutlich, wie Geschlecht im Alltag selbst als ein Auftritt verstanden wird. Anhand einer Analyse des Måneskin Auftritts des Lieds Zitti e buoni sollen diese Überlegungen konkretisiert und greifbar gemacht werden. Durch meine Forschung will ich erkennbar machen, was Gender Performance für einen musikalischen Bühnenauftritt bedeuten kann. Die popkulturelle Relevanz solcher Auftritte möchte ich dabei ebenfalls herausstellen. Als methodischer Zugang wurde ein medienkulturwissenschaftlicher Ansatz zur Analyse eines musikalischen Live-Auftritts genutzt.

Durch die Auswertung meiner Beobachtungen konnte ich herausarbeiten, welche Fragen an den Gegenstand zu stellen sind, um nachzuvollziehen wie die Band Måneskin bei ihrem Bühnenauftritt zum Lied Zitti e buoni bewusst Risse in der heteronormativen und geschlechterbinären Brille erzeugt.

 

Annie Eckert B. A. (Jena)
Alltag und Gegenalltag – Eine Ethnographie über die ‚Drachenlord-Haider‘

Alltag lässt sich als Ordnung begreifen, welche den Handlungen und Einstellungen der täglichen Abläufe einen Rahmen bietet. Rhythmen und Rituale sind dabei ebenso wichtig wie Unregelmäßigkeiten und Reibungen. Alltag ist in seiner individuellen wie kollektiven Perspektive zentral für die Ausprägung von Identität und Gemeinschafts- gefühl (vgl. Goffman 2017, S. 22–23).

Diese Aspekte finden sich auch in meiner Auseinandersetzung mit den ‚Drachenlord- Haidern‘, die ich in einer fast einjährigen Feldforschung zu verstehen versuchte und in meiner Bachelorarbeit verdichtet habe. Die Selbst- bezeichnung ‚Haider‘ haben die Akteur*innen in bewusster Abgrenzung zum englischen Begriff ‚Hater‘ gewählt, mit gleichzeitiger Bezugnahme auf Dialekt und Rechtschreibfehler des ‚Drachenlords‘. Bei den ‚Haidern‘ handelt es sich um eine Gruppe von teils gewalttätigen Internet- Trollen und Anti-Fans, die sich um den ehemaligen YouTuber Rainer Winkler – der im Internet unter dem Alias ‚Drachenlord‘ agierte – gesammelt haben.

Das Thema ist aus verschiedenen Perspektiven interessant für eine kulturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Alltag: In den Konflikten zwischen den ‚Haidern‘ und dem ‚Drachenlord‘ kann die Verflechtung von analogen und digitalen Elementen im Alltagsleben einer Online-Community nachgezeichnet werden. Alltag findet sich hier als eine Form der Hybridisierung zwischen Analogem und Digitalem, Fiktion bzw. Narration und lebensweltlicher Realität. Dabei wurden die Geschehnisse innerhalb des von den Akteur*innen als ‚Drachengame‘ bezeichneten Kosmos in der Öffentlichkeit immer wieder als ‚chaotischer Gewaltexzess‘ verurteilt (vgl. Augsburger Allgemeine, 24.08.2018; Süddeutsche Zeitung, 23.02.2017; Ostthüringer Zeitung, 09.03.2023).

In meiner Forschung konnte ich aufzeigen, dass die Werte der ‚Haider‘, mit denen sie ihre Angriffe auf den ‚Drachenlord‘ begründen, als Teil einer bürgerlichen Matrix begriffen werden können (vgl. Chiapellos/Boltanski 2006). Hierbei beziehe ich mich darauf, dass die Akteur*innen ihre Handlungen während meiner Forschungszeit damit rechtfertigten, dass sie Winkler lediglich zu einem ihrerseits als ‚gesünder‘ bewerteter Lebensstil ‚erziehen‘ wollen (i. e. ‚anerkannte‘ Lohnarbeit, heteronormative Kernfamilie etc.). Entscheidend ist weiterhin, dass der Raum, den sich die ‚Haider‘ im Internet geschaffen haben mit Victor Turner als liminoid begriffen werden kann (vgl. Turner 1995; 2005). Aufgrund seiner technischen Vermittlung ist dieser Raum – anders als beispielsweise ein Fest – dauerhaft zugänglich, parallel zum ‚normalen bzw. zivilen Alltag‘ der Akteur*innen. Die ‚Haider‘ schaffen sich dabei ein anonymes Alter Ego, mit dem sie spielerisch technische und soziale Kontrollmechanismen umgehen. Dieses Phänomen benenne ich mit dem Begriff des Gegenalltags. Zu diskutieren bleibt unter anderem die Frage, ob die technische Dauerstabilisierung dieser ursprünglich außeralltäglichen Möglichkeitsräume, sie nicht schlicht mit dem privaten Alltag der Akteur*innen zu einem hybriden Gebilde verschmelzen lässt.

 

Kyra Hardt B. A. (Hamburg)
… „also wir sollten eigentlich die ganze Zeit stumm sein“ – Erzählungen von Schüler:innen über Techniknutzung im Kontext der Covid-19-Pandemie

Unter dem Titel „also wir sollten eigentlich die ganze Zeit stumm sein“. Eine ethnographische Studie über Erzählungen von Schüler:innen über Techniknutzung im Home-Schooling im Kontext der Covid-19-Pandemie schreibe ich meine Masterarbeit über Schüler:innen, die kurz vor ihrem Schulabschluss stehen und wie sie ihre veränderten Alltage im schulischen Kontext der Pandemie mit Fokus auf ihre Techniknutzungen wahrnehmen.

Die Perspektiven einer Gruppe von Freund:innen und ihr Erleben der veränderten schulischen und privaten Situationen aufgrund von Home-Schooling und den damit verbundenen neuen technischen Räumen werden mithilfe von empirischem Material vorrangig bestehend aus Interviews und Mental Maps erhoben. Außerdem werden die Ergebnisse im Sinne der Grounded Theory in loser Anlehnung nach Monika Götzö analysiert. Insbe- sondere die mehrmaligen Kodierprozesse und während des Schreibens erneut ins empirische Material zurückzukehren, helfen bei der Ausarbeitung der Erkenntnisse und der Sichtbarmachung von Strukturen und Phänomenen. Kontextualisiert wird die Empirie in Subjektivierungsprozesse und Erzählpraktiken der Akteur:innen, die in Praxistheorien und aktuelle Theorien der Geschlechterforschung eingebettet werden. Das empirische Material zeigt was die Schüler:innen bewegt. Nicht nur geht es um Selbstbestimmung der Schüler:innen, Schaffung von Freiräumen und Aneignungsstrategien im veränderten Alltäglichen, sondern auch um Erwartungen an das eigene Selbst, Leistungsstreben, die Zukunft und Widersprüche im Erleben der Akteur:innen.

 

Rick Kool B. A. (Kiel)
Das Erdbeer-Imperium schlägt zurück – Krisen und Alltag bei Karls 1921

Einen Tag auf dem Land – Ziegen streicheln, Traktor fahren und anschließend eine Erdbeerlimo trinken. Das alles und noch einiges mehr ist möglich in den zahlreichen Karls-Erlebnisdörfern, die nach dem bisherigen Stand in Nord- wie Ostdeutschland verbreitet sind und dort als überregionale Player auftreten. Karls ist ein Unternehmen, welches 1921 gegründet wurde, sich seitdem im stetigen Wandel befindet und sich dabei entlang unterschied- licher gesellschaftlicher Krisen- und Umbruchsituationen weiterentwickelt und verändert. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor allem für den Verkauf von Erdbeeren bekannt, macht sich das Unternehmen heutzutage durch die ‚bäuerlich‘ anmutenden Erlebnis-Dörfer einen Namen, welche eine Mischung zwischen Freizeitpark, Supermarkt und Bauernhof sind. Mein Beitrag im Studierendenpanel soll die ersten Ergebnisse meiner entstehenden Master- arbeit vorstellen, die sich mit dem ökonomischen Handeln des Familienunternehmens beschäftigt. Hierbei soll der Frage nachgegangen werden, wie in der Firma krisenhaften Bedingungen der Landwirtschaft begegnet und dabei neue Zukunftspraktiken ausgehandelt werden. Der Vortrag baut auf teilnehmenden Beobachtungen auf, welche in zwei Karls-Erlebnisdörfern durchgeführt wurden, sowie leitfadengestützten Interviews mit Saisonarbeiter* innen des Unternehmens und informelle Gespräche mit einer Hilfsorganisation für Arbeitnehmer*innen. Meine Feld- forschung bestand aus mehreren Besuchen des Erlebnisdorfes, wobei ich an den unterschiedlichen Angeboten teilnahm, um so einen Einblick in die Dynamiken des Phänomens zu bekommen. Ergänzend wurde der Internetauftritt des Unternehmens in den Analysekorpus miteinbezogen. Im Zuge meiner Forschung konnte ich herausstellen, dass Karls unterschiedliche Praktiken entwickelt hat, welche den landwirtschaftlichen Betrieb zukunftsfähig machen und dabei gleichzeitig Trends wie DIY, Fairer Handel und umweltschonendes Handeln kapitalisiert.

 

Jannis Nickel B. A. (Mainz)
Helfen in der Katastrophe. Perspektiven freiwilliger Feuerwehrleute auf die Flut im Ahrtal

Zum Thema des Kongresses werde ich einen Beitrag zu meiner Masterarbeit unter dem Titel „Helfen in der Katastrophe. Perspektiven freiwilliger Feuerwehrleute auf die Flut im Ahrtal“ vortragen.
Die empirische Untersuchung bezieht sich auf 14 qualitative Interviews mit freiwilligen Feuerwehrleuten unterschiedlichster Stellungen, aus verschiedenen Orten in Rheinland-Pfalz, welche in Folge des Ahrhochwassers vom 14. auf den 15. Juli 2021 im Ahrtal tätig waren. Zentrale Frage ist, wie verschiedene Helfende der freiwilligen Feuerwehren diese Erschütterung ihres Alltags wahrgenommen haben und wie sie im Nachhinein darüber berichten.
Primär kann die Arbeit (und damit auch der Vortrag) in das Feld der Katastrophenforschung eingeordnet werden. Daneben spielen jedoch auch Elemente der Erzählforschung, durch die Konzentration auf die Erzählungen der freiwilligen Feuerwehrleute, eine Rolle. Die freiwilligen Feuerwehren selbst stellen dabei einen Teil jener Infrastruktur dar, welche im Call for Papers als alltagsformend beschrieben werden. Dem gegenüber sind sie per Definition und Auftrag ein stetiger Vorbereitungsraum für Katastrophen und damit für die totale Umkehr des Alltags. Dieses Spannungsfeld wurde im Fall des Ahrhochwassers auf ein Maximum ausgedehnt und scheint perfekt geeignet für kulturanthropologische Untersuchungen. Mit dieser Ausrichtung bewegt sich meine Forschung parallel zu den Leitlinien des Kongresses, zwischen „eingespielten Rhythmen“ und „ausbrechenden Veränderungen“ (DGEKW-Kongress 2023 Studentischer Call for Papers). Besonders angeschlossen ist die Forschung dabei an das „direkte[n] Erleben der planetaren ökologischen Krise[n]“ (DGEKW-Kongress 2023 Call for Papers). Es zeichnet sich ab, dass dem Ahrhochwasser 2021 von verschiedensten Helfenden verschiedenste Bedeutungen zugeschrieben werden und das es als Spiegelbild der jeweiligen Interessen, Probleme und Kritikpunkte an der Gesellschaft dient.

TU Dortmund

TU Dortmund, Emil-Figge-Straße 50 (Foto: Roland Baege)
TU Dortmund, Emil-Figge-Straße 50 (Foto: Roland Baege)

keuning haus

Dietrich-Keuning-Haus, Dortmund
Dietrich-Keuning-Haus, Dortmund