Workshop 3 | Das Digitale des Alltäglichen und das Alltägliche des Digitalen. Debatte und Diskussion der DGEKW-Kommission Digitale Anthropologie im Roundtable-Format
Moderation und Kommentar: PD Dr. Anne Dippel (Jena)
Beteiligte: Katrin Amelang, Christoph Bareither, Urmila Goel, Gertraud Koch, Sarah Thanner, Libuše Hannah Vepřek
Die ehemalige Kommission „Digitalisierung im Alltag“ nennt sich seit 2022 „Kommission für Digitale Anthropo- logie“. Die Mitglieder haben sich für diesen Namen entschieden, weil der Prozess der Digitalisierung und seine transformatorische Kraft binnen weniger Jahre so umfassend im Alltag wirkmächtig geworden ist, dass „der Alltag“ und „das Digitale“ schwer voneinander zu trennen sind. Die Umbenennung ist damit symptomatisch für diesen digital durchzogenen Alltag. Was bedeutet „Digitale Anthropologie“ und welche Perspektiven auf Alltag eröffnet diese neue Querschnittsdimension? Wie erlaubt „Digitale Anthropologie“ Dynamiken und Strukturen, Kontinuitäten und Brüche, Bausteine und Architekturen von Menschen und Mehr-als-Menschlichen im Alltag zu untersuchen? In diesem Roundtable wollen wir daher das Digitale des Alltäglichen und das Alltägliche des Digitalen diskutieren.
Erscheint das Digitale nicht bloß als etwas Neues und bildet vielmehr ein technogenes Kontinuum, das sich an die Industrialisierung anschließt? Naturschutz- und Lebensreformbewegungen waren Antworten auf die Umwälzungen der Moderne. Stellen heutige Umweltbewegungen und Lifestylekonzepte gleichermaßen Antworten auf die Um- wälzungen der Digitale dar? Wo liegen die Unterschiede, wo finden sich Parallelen? Gelingt es durch einen „digital- anthropologischen Blick“ den Fallen der Romantisierung und Überrationalisierung zu entgehen? Können wir dadurch neue Fragen und Sichtweisen entwickeln, anstatt die immer gleichen Sorgen, Perspektiven und Antworten an soziomaterielle Transformationen des Alltags heranzutragen? Wie können wir die parallel laufenden Prozesse einfangen, die durch digitale Technologien befördert werden: Fluidisierung und Konzentration, Öffnen und Schließen, Verschwimmen von Identität und Neuziehen von Grenzen, Sehnsucht nach der „guten alten Zeit“ und Spekulationssucht über die „paradiesische Zukunft“? Lässt sich all das in Dialektik aufheben oder hebt sich in der Digitale die Dialektik selbst auf?
Jede Zeit gibt ihre Perspektiven auf Welten preis: Moderne Theorien erlaubten, die technogene Transformationen im Zeitalter der Industrialisierung und neue Mensch-Technik-Beziehungen zu reflektieren. Postmoderne Ansätze halfen das Spiel der Zeichen, die diskursive Macht von Medien und das rhizomatische Gefüge von Maschinen in den Blick zu nehmen. Akteur-Netzwerk-Theorien gaben praxeologische Erkenntnisse und der Begriff des Aktanten etwa gestattete eine Enthierarchisierung und erste Dezentrierung des Menschen. In den Theorien des Digitalen wird die Relationalität noch verstärkt. Eine Analyse von Mehr-als-Menschlichen erlaubt ontologische Schärfungen. Sind Mensch und Mehr-als-Menschliche im digitalen Alltag noch voneinander zu trennen? Müssten ethische Fragen dann nicht neu diskutiert werden? Reicht die Fokussierung auf Sorge und Fürsorge? Welche epistemischen Werkzeuge sind nützlich? Welche neuen heuristischen Möglichkeiten bieten sich darüber hinaus, um Alltagswelten zu analysieren? Und wie verändern diese Perspektiven Verständnisse von Letzteren?
In diesem Roundtable fächern sechs Mitglieder der Kommission die Komplexität des Themas auf: Ökologische und soziale Kosten digitaler Alltage (Katrin Amelang); Künstliche Intelligenz als „Alltagsmaschinen“ (Christoph Bareither); Auswirkungen von alltäglicher Digitalisierung auf Migration und transnationale Leben (Urmila Goel); Notwendigkeiten von reflexiven und analytischen Begrifflichkeiten (Gertraud Koch); Veränderung materieller Kultur durch smarte Alltagsdinge (Sarah Thanner); Verständnisse von mathematischen und informatischen Grundlagen in der Digitalen (Libuše Hannah Vepřek). Verbindende Stränge und Moderation leistet eine Diskutandin (Anne Dippel), bevor die Plenumsdiskussion eröffnet wird. Mit dem Format eines Roundtables möchten wir so den Fokus von alleinstehenden Vorträgen auf eine gemeinsame fokussierte Diskussion legen.